Neukantianismus
„Die Neukantianer zielten auf den Ausweis und die Sicherung der Rationalität der Kultur. Von erstrangiger Bedeutung erschien ihnen dafür eine überzeugende philosophische Begründung wissenschaftlicher Erkenntnis.“
Helmut Holzhey, Der Neukantianismus als historische Erscheinung, in: Helmut Holzhey, Wolfgang Röd, Geschichte der Philosophie Bd. XII, Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 2, München 2004, S. 37.
„Neo-Kantianism was the most dominant philosophical movement in Europe between approximately 1870 and 1920, and had the express intention of reawakening the spirit of Kant's philosophy after the so-called collapse of German Idealism following Hegel's death.“
Rudolf A. Makkreel / Sebastian Luft (Eds.) in: Neo-Kantianism in Contemporary Philosophy, Introduction, Indiana University Press, Bloomington, 2010.
„Rein sachlich gesehen kreisen die zentralen Gedanken der Neukantianer - jedenfalls der Marburger und Südwestdeutschen - um das Problem der Geltung. Kants Beitrag zur Philosophie schätzen die Neukantianer sowohl hinsichtlich seiner Einsicht in das Problem der Geltung als auch in die Methode, mit der es bewältigt werden kann. Dieser Beitrag Kants soll nicht bloß reaktiviert, sondern zugleich reaktualisiert werden. ...das Denken, die ‚reine Vernunft‘ (im weiten Sinne) wird als Prinzip möglichen Gegenstandsbezugs aufgefaßt.“
Christian Krijnen, Denken als Ursprung, in: Marburg versus Südwestdeutschland, Christian Krijnen / Andrzej Noras (Hrsg.), Königshausen & Neumann, 2011, S. 69.
„...darüber herrscht bei den Neukantianern Einigkeit: für sie steht außer Zweifel, daß Kant in der Vernunftkritik unter dem Gegenstand den Gegenstand der mathematischen Naturwissenschaft versteht und sie erachten, auch in diesem Punkt herrscht Einigkeit, die Orientierung an den exakten Wissenschaften als den entscheidenden Vorzug der Kantischen Philosophie, hatte sich der Neukantianismus doch in dem ... Bestreben formiert, die Selbständigkeit und Wissenschaftlichkeit der Philosophie zu sichern, indem er ihr ... die ‚Thatsache der Wissenschaft‘ als den eigentümlichen ‚Gegenstand‘ zuwies und der Philosophie damit sowohl einen eigenen Gegenstand, wie auch ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sicherte.“
Kurt Walter Zeidler, Das Problem des Einzelnen, in: Marburg versus Südwestdeutschland, Christian Krijnen / Andrzej Noras (Hrsg.), Königshausen & Neumann, 2011, S. 176.
„In diesem Sinne ist die kantische Philosophie nicht nur theoretischer Idealismus als die Lehre, daß alle Erkenntnis in der normativen Gesetzmäßigkeit der Vorstellungen besteht, sondern auch praktischer Idealismus: sie ist die Lehre von den Idealen der Menschheit. (...) Langsam, oft unbemerkt hat dieser Geist das europäische Denken durchdrungen; ... Wenn man auch den wahren Sinn der durch Kant gewonnenen Umgestaltung des Denkens nicht überall verstanden hat, - seine tiefgreifenden Wirkungen liegen am Tage. Sie zeigen sich vor allem in der Gestaltung des wissenschaftlichen Lebens.“
Wilhelm Windelband, Immanuel Kant, in: Präludien, Jörn Bohr / Sebastian Luft (Hrsg.) Hamburg 2021, Meiner Verlag, S. 129f.
„Das Resultat der Vernunftkritik kann nicht als ein fertiges und abgesondertes Produkt in einer Mehrheit fester Lehrsätze von Anfang an hingestellt werden: Denn es ist, was es ist, nur mit Rücksicht auf den Weg, auf dem es erreicht, auf die Methode, kraft derer es begründet wird. Dieses Verfahren der Begründung geht im Ergebnis nicht unter: sondern es bildet im bestimmten Sinne die Totalität dieses Ergebnisses selbst.“
Ernst Cassirer, Grundprobleme der Kantischen Methodik (1914), in: Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, Meiner Verlag, Band 9, S. 202.
"The movement is known as British Idealism, and here too we find a vital point of unity; a common affiliation - not to Berkeley but to Plato, Kant and Hegel - which bound a generation together. In 1860 there were scarcely any idealists, by 1900 the majority of philosophers so designated themselves, but thirty years later they were rare again. (...) Slowly at first but then with growing momentum British minds woke up to the ideas of German idealism, recognizing in them a potential way through the impasse between intuitionism and scepticism, a line of reasoning whereby human knowledge might reach the metaphysical, spiritual, and moral foundations it had been seeking. There can be no doubt that this embracing of Kant and (especially) Hegel was a crucial factor in the emergence of British Idealism. As the school burst forth they were expounded at lenght and in detail, and their views presented as a crucial step forward in philosophy. (...) When, from all these beginnings the British Idealist philosophy began to spring forth, it was by any measure, immensely successful; ...The few pioneering works of the 1860s were followed by a flood of writings in the 1870s and 1880s, as a whole generation of idealist philosophers emerged. They were especially successful at Glasgow and Oxford; although Edinburgh, St Andrews, and Cambridge all contributed as well (as, in due time, did the new provincial universities)."
W. J. Mander, British Idealism, Oxford University Press, Oxford 2014, p. 5 and p. 19.
„Es müssen wieder zuerst die Neukantianer genannt werden. Ihnen kommt das Verdienst zu, die Kantische Einsicht von der Philosophie als Wissenschaft der Letztbegründung jedweden Wissens durch die Herausarbeitung der kardinalen Funktion der Geltungsanalyse für die Letztbegründung so weit gehärtet zu haben, daß die schon im Deutschen Idealismus, insbes. bei Hegel, aufkeimende, im Nachidealismus sich mächtig verstärkende Tendenz zur Aufweichung eben dieser Einsicht gestoppt wurde. Ob wir nun die Argumentation der Schulhäupter, H. Cohens und P. Natorps, W. Windelbands und H. Rickerts, oder die der Schüler, von A. Liebert oder B. Bauch etwa, nehmen, stets zielt diese darauf, die Geltungsanalyse als Letztbegründung durchsichtig zu machen.“
Werner Flach, Grundzüge der Erkenntnislehre, Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 1994, S. 96.
„Inzwischen regt sich wieder ein Interesse am Neukantianismus. Im Abstand der Zeit wurde er zum historischen Objekt, weil er aus der aktuellen Diskussion ausgeschieden war. Doch als seine siegreichen Nachfolger mit ihren Versprechen selbst alterten, konnten auch ihre Formeln, mit denen die einen den Neukantianismus als falsches Gesellschaftsbewußtsein verurteilten, die anderen ihn durch eine neue Wissenschaftstheorie verdrängt hatten, nicht mehr zu überzeugen. Mit der Veranlassung, den Gang der Dinge neu zu überdenken, entstand auch das Bedürfnis, den vergessenen Neukantianismus wieder aus erster Hand zu kennen. Und es entspricht der bedeutenden Rolle, mit der der Neukantianismus in die Geschichte verwoben war, daß dieses Interesse aus Gründen und mit Ansätzen auftritt, die nach Fächern und Ländern durchaus verschieden sind.“
Friedrich H. Tenbruck, Geschichte und Geschichtsschreibung der Philosophie am Beispiel des Neukantianismus, Sonderdruck aus: Philosophische Rundschau, J. C. B. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1988, S. 4.
„Der Neukantianismus, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts formierte, sah darum in Kant vornehmlich den Theoretiker der wissenschaftlichen Erkenntnis, der die Philosophie auf die ‚Thatsache der exacten Wissenschaft‘ verwiesen und ihr dadurch sowohl ihren eigenen ‚Gegenstand‘ wie auch ihren unbestreitbaren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit gesichert hatte. Diese wissenschaftstheoretische Kantinterpretation der Neukantianer lieferte der Philosophie eine höchst erfolgreiche Legitimierungs- und Professionalisierungsstrategie.“
Kurt Walter Zeidler, Provokationen - Zu Problemen des Neukantianismus, Ferstl & Perz Verlag, Wien 2018, S. 68f.
„Stark von außen her angegriffen blieb die Position des neukantianischen kritischen Idealismus durch den Positivismus. (...) Wenn Mathematik eine Trumpfkarte in der Hand der Platoniker und Kantianer gegen die Empiristen zu sein schien, so war im logischen Positivismus eine feste Allianz zwischen Positivismus, Mathematik und neuer symbolischer Logik geschlossen worden. Durch die angeblich geglückte Unterminierung der Kantischen Auffassung des synthetisch apriorischen Charakters der mathematischen Urteile schien eine tiefe Bresche in den Wall der Kantischen Philosophie geschlagen. (...) Schließlich hatte der Neukantianismus, der mehr als andere Philosophien erkenntnistheoretisch zentriert war, sich mit den Revolutionen in den Spezialwissenschaften auseinanderzusetzen, durch die Newtons Physik überholt war, die aber auch in Biologe, Psychologie und Sozialwissenschaften sich ununterbrochen abspielten. Geschmeidigste Anpassung der ursprünglich Kantischen Kategorien an neue Soziologie und Sprachwissenschaft, zugleich aber auch an den neuen Typus der Einstein-Planckschen Physik war insbesondere die Leistung E. Cassirers. In anderen Formen machten sich Hönigswald und Cohn diese Wandlungen zu eigen.“
Siegfried Marck, Am Ausgang des jüngeren Neukantianismus, in: Hans-Ludwig Ollig, Materialien zur Neukantianismus-Diskussion, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1987, S. 22f.
„Im strengsten Sinne sollte man nur die als Neukantianer, d.h. als Kantianer, die etwas Neues gebracht haben, bezeichnen, die, wie Riehl sagt, durch erneutes und vertieftes Studium Kants die Philosophie über sich selbst zu besinnen suchten und dadurch zugleich wirklich über ihren schon vorher erreichten Stand hinausführten. Dann sind dazu O. Liebmann, F. A. Lange, besonders aber H. Cohen, W. Windelband und P. Natorp zu rechnen.“
Heinrich Rickert, ‚Alois Riehl‘, in: Logos, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Bd. 13, S. 163.
Archiv für Systematische Philosophie
http://phaidon.philo.at/asp/autoren.htm
Centre for Studies in Neo-Kantianism (CENK)
Archivbibliothek „Post-Neukantianismus und kritischer Idealismus der Gegenwart“ (APIG)
Bedeutende Verlage für den Neukantianismus (deutschsprachig):
Königshausen & Neumann Verlag: https://www.verlag-koenigshausen-neumann.de/
Meiner Verlag für Philosophie: https://meiner.de/philosophische-bibliothek.html
De Gruyter Verlag: https://www.degruyter.com/
Springer Verlag: https://www.degruyter.com/
Mohr Siebeck Verlag: https://www.mohrsiebeck.com/
J. B. Metzler Verlag: https://www.metzlerverlag.de/
Schwabe Verlag: https://schwabe.ch/
C. H. Beck Verlag: https://www.chbeck.de/
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Prof. Dr. W. Schmied-Kowarzik: Literatur mit Neukantianismus-Bezug
prof.-dr.-w.-schmied-kowarzik-neukantianismus-bezug.pdf
- Literatur (Anregungen):
Back to Kant: The Revival of Kantianism in German Social and Historical Thought, 1860-1914 (1978) Thomas E. Willey
British Idealism (2014) W. J. Mander
Der Neukantianismus (1979) Hans-Ludwig Ollig
Der Neukantianismus und das Erbe des deutschen Idealismus: die philosophische Methode. Studien und Materialien zum Neukantianismus (2002) Christian Krijnen / Detlev Pätzold (Hrsg.)
Der Neukantianismus: Perspektiven und Probleme (1994) Ernst W Orth / Helmut Holzhey (Hrsg.)
Die Entstehung des wahren Kant (2022) Hauke Heidenreich
Die Idee der Transzendentalphilosophie (2002) Werner Flach
Die Krise des Idealismus (1936) Arthur Liebert
Die Rationalität der Kultur: Zur Kulturphilosophie und ihrer transzendentalen Begründung bei Cohen, Natorp und Cassirer (2002) Ursula Renz
Einführung in den Neukantianismus (1997) Manfred Pascher
Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus (1993) Klaus Christian Köhnke
Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus (1979) Werner Flach / Helmut Holzhey (Hrsg.)
From Hegel to Windelband (2015) Gerald Hartung / Valentin Pluder (Hrsg.)
Geschichte der Philosophie Bd. 12: Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 2: Neukantianismus, Idealismus, Realismus, Phänomenologie (2004) Helmut Holzhey / Wolfgang Röd
Geschichte des Neukantianismus (2020) Andrzej J. Noras
Grundriss der transzendentalen Logik (2017) Kurt Walter Zeidler
Idealismus und Faktizität (1971) Gerd Wolandt
Kant im Neukantianismus - Fortschritt oder Rückschritt? (2007) M. Heinz / Chr. Krijnen
Kant um 1900 (2022) Hauke Heidenreich / Friedemann Stengel (Herausgeber)
Kant und die Epigonen: Eine Kritische Abhandlung (1991/1865) Otto Liebmann
Kants Grundlehre (1959) Rudolf Zocher
Kritische Dialektik und Transzendentalontologie (1995) Kurt Walter Zeidler
Kritische Philosophie: Systematische und historische Abhandlungen (1980) Karl Wagner
Kulturphilosophie - Probleme und Perspektiven des Neukantianismus (2014) C. Krijnen, M. Ferrari, P. Fiorato (Hrsg.)
Letztbegründung: Werner Flachs Erkenntnislehre und die Fundierungsansätze von Hans Wagner und Kurt Walter Zeidler (2005) Peter M. Lippitz
Materialien zur Neukantianismus-Diskussion (1987) Hans-Ludwig Ollig
Neo-Kantianism in Contemporary Philosophy (2009) Sebastian Luft, Rudolf A. Makkreel (Herausgeber)
Neukantianismus in Polen (2015) Tomasz Kubalica, / Stephan Nachtsheim, (Hrsg.)
New Approaches to Neo-Kantianism (2015) Nicolas de Warren, Andrea Staiti (Eds.)
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (2021) Wilhelm Windelband / Jörn Bohr, Sebastian Luft (Hrsg.)
Provokationen (2018) Kurt Walter Zeidler
Reflexion und konkrete Subjektivität: Beiträge zum 100. Geburtstag von Hans Wagner (2017) Kurt Walter Zeidler / Christian Krijnen (Herausgeber)
Russian Neo-Kantianism: Emergence, Dissemination, and Dissolution (2022) Thomas Nemeth
Schlusslogische Letztbegründung: Festschrift für Kurt Walter Zeidler zum 65. Geburtstag (2020) Lois Marie Rendl / Robert König (Herausgeber)
Synthesis und Systembegriff in der Philosophie (2023) Felix Noeggerath (Hrsg.: Hartwig Wiedebach/Peter Fenves)
Systemphilosophie als Selbsterkenntnis - Hegel und der Neukantianismus (2006) Fulda Hans-Friedrich / Christian Krijnen (Hrsg.)
The Genesis of Neo-Kantianism, 1796-1880 (2017) Frederick C. Beiser
The Neo-Kantian Reader (2015) Sebastian Luft (Hrsg.)
Theoretische Geltung: Zur Geschichte eines philosophischen Paradigmas (1995) Lutz Herrschaft
Transzendentale Konzepte in aktuellen Bezügen (2010) Hans-Dieter Klein, Rudolf Langthaler (Herausgeber)
Transzendentale Logik und Wissenschaftstheorie (1977) Wolfgang Marx
Transzendentale Reflexion und Erkenntnisgegenstand (1989) Hans-Dieter Häußer
Transzendentalphilosophie und System (1994) Steinar Mathisen
Wissenschaftsphilosophie im Neukantianismus (2014) Christian Krijnen / Kurt Walter Zeidler (Hrsg.)