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Die Verbindung von aufklärerischer Vernunft und Wissenschaft

Heinrich Rickert (1863 - 1936)

Foto Heinrich Rickert

„Im Kontext der Frage nach dem Ursprung der Erkenntnis entwickelt Rickert sein sog. Gegenstandsmodell. ... Hierbei geht es um den Komplex von Fundamentalbedingungen allen Denkens von Gegenständen wie aller denkbaren Gegenstände, in neutraler Redeweise: um den Inbegriff logischer Fundamentalbedingungen alles wahrheitsreferenten Denkens und aller wahrheitsreferenten Gedanken.“

Christian Krijnen, Denken als Ursprung, in: Christian Krijnen / Andrzej Noras (Hrsg.), Marburg versus Südwestdeutschland, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2012, S. 72.

„Die Behauptung, dass alle Wissenschaft durch Erfahrung zu stande komme, ist entweder ein nichtssagendes Schlagwort, oder wenn man unter Erfahrung den einzelnen Sinneseindruck versteht, eine ganz unhaltbare, gar nicht ernsthaft zu diskutierende Theorie.“

Heinrich Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis. Einführung in die Transzendentalphilosophie, Tübingen/Leipzig (1904), S. 51.

„Diese Erweiterung der erkenntnistheoretischen Untersuchung von den naturwissenschaftlichen auf die historischen Disziplinen, wie sie am besten von Rickert entwickelt und formuliert worden ist, führt nun unmittelbar darauf, für das ‚systematische Geschäft‘ der kritischen Philosophie die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Werte, denen die Geschichte den Charakter als Wissenschaft verdankt, als das vollkommen ebenbürtige und parallele Problem zu der Apriorität der intellektuellen Formen erscheinen zu lassen, auf denen sich die Naturwissenschaft aufbaut.“

Wilhelm Windelband, Nach hundert Jahren, in: Präludien, Jörn Bohr / Sebastian Luft (Hrsg.) Hamburg 2021, Meiner Verlag, S. 142f.

„Dann können wir sagen: mit logischer Notwendigkeit fordert die Identität die Verschiedenheit, oder, wie wir lieber sagen wollen, die Andersheit, ebenso wie die Form ihr Anderes den Inhalt fordert. Objektiv ausgedrückt: das eine Moment besteht als das Eine nur im Verhältnis oder in der Beziehung zum andern Moment. Subjektiv: mit dem Einen wird stets das Andere ‚gesetzt‘. Wir können nicht beziehungslos denken. Auch der rein logische Gegenstand läßt sich in seiner Ganzheit nur als Relation der Relata, als das Eine und das Andere, als Form und Inhalt fassen. (...) Die Heterologie ist schon bei der Bestimmung jedes theoretischen Gegenstandes notwendig, den wir logisch denken wollen. Sogar die Identität läßt sich zum selbständigen Gegenstand nicht durch A allein, sondern erst durch die Formel A ist A, also durch ein anderes A bestimmen.

Heinrich Rickert: Das Eine und das Andere, Sämtliche Werke, Band 1, herausgegeben von Rainer A. Bast, De Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2020, S. 127f. 

„Bei Hegel wie bei Rickert prägt sich das Problem der Geltung des Wissens, der Gegenständlichkeit des Denkens, doppelaspektig aus: es enthält das Problem der Wahrheit und Gewissheit (Hegel), des Gegenstandes der Erkenntnis und der Erkenntnis des Gegenstandes (Rickert), der Objektivität und der Subjektivität, des Seins und des Sinns. Das ist für die Letztbegründungsfunktion des Denkens sehr wichtig. Denn aufgrund der inter-gnoseologischen Doppelaspektigkeit der Geltungsbestimmtheit des Wissens fundiert das Denken als Prinzip sowohl die grundsätzliche Geltung der Erkenntnis als auch die Verwirklichung der Erkenntnis: auch die Konkretion des Logischen ist im Denken als Objektivitätsgrund begründet.

Christian Krijnen, Absoluter oder kritischer Standpunkt, in: Detlev Pätzold / Christian Krijnen, Der Neukantianismus und das Erbe des deutschen Idealismus: die philosophische Methode, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2002, S. 164f.

„So muß deutlich werden: was wir früher von der Logik zeigten, gilt für den ganzen Umfang der Philosophie: als Wertwissenschaft tritt sie den Seinswissenschaften gegenüber, und zwar nicht als Wissenschaft vom Sein der Werte, denn ein Wert existiert nicht, sondern als Wissenschaft vom Geltenden und damit auch als die Lehre vom Sollen, das sich ergibt, sobald gültige Werte auf ein Stellung nehmendes Subjekt bezogen werden. Die Philosophie kann sich bei dem heutigen Zustande der Einzelwissenschaften keine andere Aufgabe stellen, weil keine Wissenschaft außer ihr den Beruf hat, das zu geben, was wir Weltanschauung nennen, d. h. auf Grund einer Wertlehre den Sinn zu deuten, den das menschliche Leben besitzt.

Heinrich Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis, Tübingen 1915, S. 443.

„Unter dem transcendenten Gegenstande verstehen wir nicht etwa eine transcendente Wirklichkeit, im Vergleich zu der die uns unmittelbar gegebene Realität nicht eigentlich als die Wirklichkeit bezeichnet werden darf, und ebenso verstehen wir unter der Erkenntnis des Transcendenten nicht etwa ein ‚Denken‘ von besonderer Art, das etwas prinzipiell anderes als ‚Erfahrung‘ ist. Im Gegenteil, wir müssen zu Beginn der Untersuchung es sehr wohl für möglich halten, dass es keine andere als die unmittelbar gegene Wirklichkeit gibt, und dass sie nur durch ‚Erfahrung‘ erkannt werden kann. Ja wir halten die Transcendentalphilosophie mit einem richtig verstandenen Positivismus und Empirismus für durchaus vereinbar.“

Heinrich Rickert, Zwei Wege der Erkenntnistheorie, Kant-Studien 14 (1909), S. 169-228.

Heinrich Rickert: Sämtliche Werke, herausgegeben von Rainer A. Bast, 11 Bände. Berlin: De Gruyter Verlag https://www.degruyter.com/serial/RICK-B/html

Biographie: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118600605.html#ndbcontent

Kurt Walter Zeidler: Das Problem des Einzelnen - Heinrich Rickert und Hermann Cohen zum ‚härtesten Problem der Logik‘   https://homepage.univie.ac.at/kurt.walter.zeidler/Das%20Problem%20des%20Einzelnen.pdf

Bedeutende Werke

Zur Lehre von der Definition, Tübingen 1888
Der Gegenstand der Erkenntnis, Freiburg 1892
Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Freiburg 1896-1902
Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Freiburg 1899
Probleme der Geschichtsphilosophie, Heidelberg 1905
Das Eine, die Einheit und die Eins, in Logos 2 (1910/11), S. 26ff
Wilhelm Windelband, Tübingen 1915 
Die Philosophie des Lebens. Darstellung und Kritik der philosophischen Modeströmungen unserer Zeit, Tübingen 1920
System der Philosophie, Tübingen 1921
Kant als Philosoph der modernen Kultur, Tübingen 1924
Grundprobleme der Philosophie, Tübingen 1934